Gastkommentar im Tages-Anzeiger vom 23.09.2025

Ich wurde adoptiert – und bin deswegen für ein Verbot

Ich wurde 1972 in Südkorea geboren und 1976 in die Schweiz adoptiert. Meine internationale Vermittlung war legal, aber sie war Teil eines Systems, das Kindern ihre Herkunft nahm und Erwachsenen ihre Wünsche erfüllte.

Heute, knapp fünfzig Jahre später, stehen wir an einem Punkt, an dem wir als Gesellschaft entscheiden müssen, wie wir mit internationalen Adoptionen umgehen wollen. Aufgrund zahlreicher dokumentierter Missbräuche und damit geraubter Identitäten schlägt der Bundesrat ein Verbot vor. Die Reaktionen darauf sind erwartbar emotional. Doch wer die Forschungslage kennt, mit Betroffenen spricht und die Praxis nüchtern betrachtet, erkennt, dass ein Verbot notwendig ist.

Zahlreiche Studien belegen, dass es über Jahrzehnte hinweg zu systematischen Menschenrechtsverletzungen kam: Kinderhandel, gefälschte Papiere, staatlich organisierte Zwangsadoptionen. Ganze Herkunftsgeschichten wurden gelöscht. Das geschah unter den Augen von Behörden, Vermittlungsstellen und Staaten, die sich auf das “Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption” von 1993 berufen. Dieses sollte Kinder schützen, nicht Institutionen. Als Unterzeichnerin der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 hat die Schweiz die Pflicht, in diesem Bereich klare Massnahmen zu ergreifen.

Kinder, die zur Vermittlung freigegeben werden, verlieren nicht nur ihre Familien, sondern auch Sprache, Kultur und Biografie. Ein Verlust, den ich täglich spüre. Besonders bei Vermittlungen über Länder- und Kulturgrenzen hinweg entstehen häufig schwere psychische Langzeitfolgen. Auswirkungen, die oft erst mit zwanzig, dreissig oder vierzig Jahren sichtbar werden und ausgesprochen werden können, wenn Schuldgefühle und Loyalitätskonflikte aus dem familiären und sozialen Umfeld zurücktreten. Auch ich kenne diese verzögerte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.

Die Zürcher Adoptionsstudie der ZHAW beschreibt solche Folgen: Depressionen, Bindungsstörungen und soziale Isolation. Die Studie der Berner Fachhochschule zu adoptierten People of Color zeigt zusätzlich, wie stark Rassismuserfahrungen, Entwurzelung und familiäre Tabuisierung das Wohlbefinden beeinträchtigen können. Trotzdem wird diese Realität in der politischen Debatte gern ausgeblendet, weil sie nicht zum Narrativ passt, dass Auslandsadoption Hilfe sei und ein unfassbar grosses Glück für die übernommenen Kinder.

In den letzten Jahren wurden pro Jahr nur noch rund dreissig Kinder aus dem Ausland adoptiert. Für diese geringe Zahl eine ganze Infrastruktur aufrechtzuerhalten, erscheint unverhältnismässig, zumal die Praxis weder ethisch noch wissenschaftlich haltbar ist.

Dabei hätte die Schweiz andere Möglichkeiten. Wer Kindern wirklich helfen will, sorgt für medizinische Versorgung, Bildung und soziale Sicherheit in ihrem Herkunftsland. Es gibt wirksame Formen der Unterstützung, ohne dass Kinder entwurzelt und an das andere Ende der Welt verpflanzt werden müssen.

Dabei geht es mitnichten um die Stigmatisierung bestehender Adoptivfamilien. Niemand behauptet, alle Vermittlungsverfahren seien missbräuchlich gewesen. Entscheidend ist, dass wir aus früherem Handeln Lehren ziehen. Endlich.

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